Im 17. Jahrhundert gelangen hochbeinige Hühner mit gelben Schnäbeln und Beinen aus der nordpersischen Provinz Gilan (persisch: گيلان) nach Russland (Heinrichs: 2016: 81). Dort erhalten sie den Namen Gilanki oder Gilanskie: „Hühner von Gilan“ (Abb. 2; Marks & Krebs 1966: 56). Die Hühner haben noch keinen Bart. Erst nachdem sie mit bärtigen Hühnern namens Uschanka gekreuzt werden, entstehen die Vorläufer heutiger Orloffs.
In der Hamburger Kunsthalle (siehe Abb. 1) sollen bereits derartige Hühner auf Gemälden des niederländischen Tiermalers Melchior de Hondecoeter zu erkennen sein (Becker 1952).
Dr. Gunther Mende und andere Autoren meinen, der Name der Rasse gehe auf die Grafen Grigori und Alexei Orlow zurück. Die Brüder waren enge Vertraute der russischen Kaiserin Katharina II. und ließen die Hühner auf ihren großen Landgütern züchten (Mende 1985: 12).
Möglich erscheint auch die von Prof. Dr. Bruno Dürigen und dem Landwirtschaftslehrer Dr. Burchard Blancke vertretene Version, der Name sei von der russischen Kreisstadt Orlow abzuleiten (Kumler 1976: 4; Blancke 1913: 92).
Fakt ist, dass vor allem Graf Alexei Orlow (siehe Abb. 3) die Rasse in Russland populär machte. Als erfolgreicher Züchter der Orlow-Traber wurde diese Pferderasse ebenfalls nach ihm benannt (Moiseyeva et al. 2013).
In diesem Jahr gelangen Orloffs (russ. Орловская) erstmals offiziell aus Russland nach Mitteleuropa.
Einen Stamm erhält der Tiermediziner und Königlich Sächsische Hofrat Prof. Dr. Friedrich Zürn in Leipzig, einen weiteren der Großgrundbesitzer und Geflügelzüchter Ludwig Freiherr von Villa-Secca Navarro d'Andrade in Wien-Ottakring (Abb. 5, seinerzeit Vizepräsident unseres heutigen Dachverbandes BDRG; Dürigen 1885: 239).
Im Kaiserreich Russland werden Orloffs zum Nationalhuhn gewählt (Abb. 6.; Höck & Six 2021: 115).
Die Rasse zeichnet sich durch ihre Anpassungsfähigkeit an frostige Witterung aus und ist anspruchslos, was Fütterung und Unterbringung betrifft. Zudem sind Orloffs gute Winterleger und liefern hervorragendes Fleisch mit einem angenehmen Geschmack, der entfernt an Wild erinnert (siehe Rezepte). Lediglich der Bruttrieb ist eher schwach ausgeprägt. [1]
Am 1. September importiert der Pfarrer Dr. Max Ranft aus Oberhelmsdorf Orloffs aus Moskau (Abb. 7; Mende 1985: 12). Damit legt er den Startpunkt der deutschen Orloff-Zucht.
Auch auf Ausstellungen in Mailand (1906) oder Turin (1911) werden die Tiere gezeigt und ihre Züchter mit Gold- und Silbermedaillen prämiert (Moiseyeva et al. 2013).
Am 10. Februar erfolgt die Gründung des heutigen Sondervereins (SV) als Vereinigung der Züchter russischer Orloffs im Hotel „Drei Raben“ in Dresden (Abb. 8).
Dr. Max Ranft wird zum 1. Vorsitzenden gewählt (Barth 1937: 2). Durch ein Preisrätsel in der Fachzeitschrift Geflügel-Börse erwirken er und der Verleger Dr. Paul Trübenbach einen höheren Bekanntheitsgrad der Rasse (Backert 2012: 4).
Der Lehrer Rudolf Barth wird zum 1. Vorsitzenden gewählt (Abb. 9). Unter seiner Leitung nimmt die Orloff-Zucht in Deutschland weiter an Fahrt auf: „Kopf und Form machen den Orloff!“ (Backert 2012).
Die ersten Zwerg-Orloffs werden in Deutschland erzüchtet, können sich aber noch nicht durchsetzen.
In einem mit „A. O.“ (wohl Alexis Ossipoff aus St. Petersburg) unterzeichneten Beitrag schreibt der Autor, zur Herkunft der Orloffs wisse man nichts Genaues.
Man wisse nur, „dass in den Jahren 1860-1880 diese Rasse (...) als eine selbstständige Rasse existierte, ihre Rassemerkmale treu vererbte und
damals als eine ausgezeichnete Wirtschaftsrasse von Autoritäten gepriesen wurde.“ (Deutscher Kleintier-Züchter 1989:
8).
Der SV teilt sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die Gruppen Ost- und Westzone mit
jeweils eigenen Schriftführern und Kassierern. Rudolf Barth bleibt zunächst der gemeinsame Vorsitzende.
Nach Kriegsende liegt auch die Orloff-Zucht in Trümmern. „Getrennt von unseren Hauptzuchtgebieten und den Freunden in Mitteldeutschland“ startet der Neuaufbau der Orloff-Zucht, so der spätere Vorsitzende Heinrich Becker in der Fachzeitschrift Geflügel-Börse (Becker 1967: 2).
Mit Hilfe von Einkreuzungen (u.a. von Malaien, Rhodeländern und bunten Sussex) wird versucht, den Fortbestand zu sichern - was langfristig auch gelingt! Negative Begleiterscheinungen werden auf breiterer Zuchtbasis fortlaufend verdrängt (ebd.).
Konditormeister Otto Squarr aus Wilhelmshaven gelingt die erneute Erzüchtung von Zwerg-Orloffs (Abb. 10).
Eingekreuzt werden z.B. Chabos, die seit dem 16. Jahrhundert bekannt sind und bereits ab 1877 durch die Geflügelzüchterin Baronin Helene von Ulm zu Erbach bzw. nach 1918 durch den späteren deutschen Botschafter Johannes Graf von Welczeck nach Europa importiert wurden. [2]
1955: Zwerg-Orloffs werden durch den Bundeszuchtausschuss anerkannt (Backert 2012: 5).
Nach dem Mauerbau: Kontakte zwischen Züchtern in Ost und West werden nahezu unmöglich. Für den Austausch von Bruteiern werden dennoch geeignete Wege gefunden.
In der DDR entsteht die Spezialzuchtgemeinschaft der Züchter Russischer Orloffs (SZG) unter dem Dach des VKSK. Nach nur einem Jahr im Amt wird Obmann Otto Faber vom Tierarzt Dr. Heinrich Ledig abgelöst.
Zum 50. Geburtstag des Sondervereins erscheint der Text „Der rotbunte Orloffhahn“ von Rudolf Barth in der Deutschen Geflügel-Zeitung (Nr. 8 / 1962).
Die Titelseite zeigt einen 1961 in Dresden ausgestellten rotbunten Hahn von Wilhelm Lädke aus Wittenberge (Abb. 11; Foto: Marks).
Am 18. März verstirbt Ehrenvorsitzender Rudolf Barth im 80. Lebensjahr.
Preisrichter Prof. Dr. Hans-Joachim Schille hebt die beachtlichen Leistungen Barths als Züchter, Preisrichter und Fachschriftsteller in einem späteren Nachruf hervor und bezeichnet ihn als Lichtgestalt der Orloff-Zucht.
Zum 75-jährigen Vereinsjubiläum erscheint eine Chronik, in der Kassierer Heinrich Korb und Zuchtwart Paul Keller dem Ehrenvorsitzenden Heinrich Becker ausdrücklich dafür danken, die Orloff-Zucht nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Ausrotten bewahrt zu haben.
Zudem würdigen sie die züchterischen Leistungen von: Wilhelm Barchfeld, Josef Beckhoff, Hermann Eibach, Karl Erkrath, Kurt Finé, Hubert Hasekamp, Josef Himmelhuber, Hermann Müller, Hans Oesterschlink,
Dr. Prechel, Ludwig Prechtl, Franz Schmidt, Adolf Steinchen und Hans Strauß.
Nach jahrzehntelanger Trennung findet die erste Zusammenkunft der Vorstände von SV (West) und SZG (Ost) bei Bernd Münster im thüringischen Wölfis statt (Abb. 13).
Am 20. Mai erfolgt der feierliche Zusammenschluss von SV und SZG in Delbrück-Hagen.
Die erste gemeinsame Hauptsonderschau findet mit 183 Orloffs und 243 Zwerg-Orloffs (!) in Feilitzsch (Oberfranken) statt (Abb. 13).
Der Verein zählt zeitweise über 170 Mitglieder aus Deutschland,
Belgien, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Schweiz, der Slowakei und dem Vereinigten Königreich.
Zum 100-jährigen Jubiläum erscheint eine Chronik des Vereins mit Grußworten von Wilhelm Riebniger (BDRG-Präsident), Karl Stratmann (VZV-Vorsitzender) und Michael Freiherr von Lüttwitz (VHGW-Vorsitzender).
Außerdem wird den Orloffs eine Ausgabe der Geflügelzeitung gewidmet (Nr. 9 / 2012). Das Titelbild zeigt Exemplare von Bernd Münster (Abb. 15; Foto: Backert).
Orloffs und Zwerg-Orloffs gelten weiterhin als seltene, regional sogar vom Aussterben bedrohte Rasse.
Geben wir ihnen gemeinsam eine Zukunft!
Text: Dr. C. Drögemüller